Rückschau auf ein besonderes Jahr und ein Blick auf 2025: Landrat Dr. Heiko Blume im großen UEN-Interview
Uelzen/Landkreis. Dieses Jahr hat es in vielen Bereichen in sich gehabt – auf Bundesebene ebenso wie im kommunalen Bereich. Der steigende wirtschaftliche Druck setzt zunehmend auch dem Landkreis Uelzen zu, der mit einem defizitären Haushalt ins neue Jahr geht. Dass unser Landkreis trotzdem leistungsfähig ist und Perspektive hat, erläutert Landrat Dr. Heiko Blume im Interview mit den Uelzener Nachrichten.
Sehr geehrter Herr Dr. Blume, die Haushaltslage des Landkreises wird schwieriger, die Belastungen steigen immer weiter. Was sind die Gründe dafür?
Dr. Blume: Das trifft alle Kommunen, bundesweit. Ein Teilaspekt ist die Inflation – das betrifft uns als Verwaltung ebenso wie die Bürger. Damit hängen beispielsweise auch die Tarifabschlüsse zusammen: Unsere Mitarbeiter bekommen mehr Gehalt, auch um die Inflation auszugleichen. Die Hauptgründe für die schlechte Haushaltslage liegen aber woanders: Die staatlichen Aufgaben, welche die Landkreise, das gilt auch für die Gemeinden und Städte, für Bund und Land erledigen müssen, werden von diesen nicht auskömmlich finanziert. In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind sehr, sehr viele Aufgaben von oben nach unten herunterdelegiert worden, ohne dass entsprechende Finanzmittel von Bund oder Land zur Verfügung gestellt werden. Es gibt drei Bereiche, die besonders zu Buche schlagen: Sozialhilfe, Teilhabe und Jugendhilfe. Dort entstehen die größten Finanzierungslücken, übrigens bundesweit. Das summiert sich bei uns jedes Jahr auf zweistellige Millionenbeträge. Das aus eigener Kraft hier vor Ort einzusparen, ist kaum möglich. Es so, dass in Deutschland die Bundesländer für die sogenannte finanzielle Mindestausstattung der Landkreise verantwortlich sind. Nach Auffassung des Niedersächsischen Landkreistages kommt Niedersachsen dieser Verpflichtung nicht ausreichend nach. Das Land hat mehr als zwei Milliarden Euro an Rücklagen – für „schlechte Zeiten“. Die Landkreise fordern seit Jahren ernsthafte Gespräche zu diesen Finanzfragen ein, zum Beispiel zum Thema Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung. Es ist zwischen Land und Landkreisen unstrittig, dass 41 Millionen Euro zu wenig gezahlt werden. Und dennoch ist keine Bewegung auf Seiten des Landes zu erkennen. Es war ein Novum, dass die Landkreise nun erklärt haben, sich aus allen Facharbeitsgruppen des Landes zurückzuziehen. Das gab es noch nie, zeigt aber eben auch, wie groß die Unzufriedenheit ist. Ich bin 13 Jahren Landrat und habe solch eine Situation bislang nicht erlebt.
Aber es kann doch nicht sein, dass das Land gegen geltendes Recht verstößt?
Dr. Blume: Wenn Sie den Finanzminister fragen, wird er folgende Sichtweise vertreten: Laut Niedersächsischer Verfassung ist das Land verpflichtet, die Kommunen auskömmlich finanziell auszustatten – jedoch nur „im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit“. Darauf zieht sich das Land zurück, ebenso auf die Schuldenbremse. Jedoch: Über all dem steht Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes. Die dort verbürgte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vermittelt nach unserer Auffassung einen Anspruch gegen das jeweilige Bundesland auf finanzielle Mindestausstattung – Leistungsfähigkeit und Schuldenbremse hin oder her.
Statt Geld könnte der Staat den Kommunen ja auch Aufgaben von den Schultern nehmen. Aber auch insofern tut sich nichts. Die Landkreise vermissen aktuell schlicht die Bereitschaft des Landes, unsere Sorgen ernst zu nehmen und über konkrete Lösungen nachzudenken. Wir fordern seit Langem den Abbau von Gesetzen und Standards, sprich echten Bürokratieabbau. EU, Bund und Länder müssen eine ernsthafte Aufgabenkritik durchführen. Vor Ort setzen Städte, Gemeinden und Landkreise die Gesetze um, die woanders beschlossen werden. Die können wir uns nicht aussuchen. Ich kann, und will, ja nicht sagen: Der Landkreis schließt 2025 sein Sozialamt … Seit Jahren fordern die Kommunen von Bund und Land: Konzentriert euch auf das Machbare, hört auf, immer neue Standards zu setzen, neue Aufgaben zu erfinden, die vor Ort erledigt werden müssen. Hört auf, den Bürgerinnen und Bürgern Versprechungen zu machen, die hinterher vor Ort nicht eingelöst werden können. Und zwar weil es nicht nur am Geld, sondern zunehmend auch schlicht am Personal dafür fehlt. Und auch die Wirtschaft zu Recht nach einem Abbau der Bürokratielasten ruft.
Die vorigen Dienstag im Kreistag vorgestellten Zahlen zum Haushalt 2025 waren einigermaßen ernüchternd – 18 Millionen Euro Defizit im kommenden Jahr. Steht uns das Wasser im Landkreis Uelzen jetzt bis zum Hals?
Dr. Blume: Ganz so dramatisch würde ich es jetzt nicht ausdrücken wollen. Wir haben finanziell auch schon andere schlechte Zeiten erlebt. Die aktuelle Entwicklung ist nur besonders deutlich. Und: Wenn Bund und Land nicht schnell wesentliche Änderungen herbeiführen, dann wird dieser Landkreis, wie viele andere auch, es finanziell nicht aus eigener Kraft schaffen. Deswegen wäre es klug, sich jetzt einmal ernsthaft zusammenzusetzen. Wie gesagt gibt es verschiedene Stellschrauben: Man muss über Geld sprechen, aber mindestens ebenso über einen Abbau von Aufgaben und Standards.
Werden die Bundestagswahlen im kommenden Jahr eine Chance für die Landkreise sein, neu in den Dialog mit der neu gewählten Bundesregierung zu gehen?
Dr. Blume: Vor jeder Wahl formulieren die Kommunalen Spitzenverbünde in Berlin, so auch der Deutsche Landkreistag, ihre Forderungen an eine neue Bundesregierung.
Die alternativen Energien – besteht für den Landkreis Uelzen die Chance, damit wieder die Kassen zu füllen?
Dr. Blume: Mittel- und langfristig ist das durchaus eine Perspektive. Ob es zum Füllen der Kassen reicht, da bin ich mir nicht sicher. Die zu erwartenden Einnahmen sind jedenfalls nicht das Mittel, um die aktuellen finanziellen Verwerfungen zwischen Land und Landkreis aufzulösen. Dennoch stellt sich der Landkreis dem Prozess aktiv. Wir wollen aus den erneuerbaren Energien mit Schwerpunkt Windkraft, aber auch Photovoltaik, möglichst Wertschöpfung generieren und diese im Landkreis behalten. Dieses wichtige Thema spiegelt sich in unseren strategischen Zielen wider, wo es jetzt heißt: „Wir werden regenerativer Wirtschaftsstandort.“ Die vom Land Niedersachsen beschlossene Vorgabe von vier Prozent unserer Landkreisfläche für Windenergie ist besonders hoch, vielleicht zu hoch. Das ist auch eine Belastung für die Menschen, die hier wohnen.
Die regenerativen Energien werden für neue Arbeitsplätze sorgen. Spielt da auch das Fachkräftemarketing des Landkreises mit rein?
Dr. Blume: Unser Fachkräftemarketing soll allen Branchen helfen. Es ist ein weiteres Querschnittsthema unserer Wirtschaftsförderung, wie ja auch Glasfaser und Mobilfunk. Das ist ein Dauerthema. Wir haben gute Rückmeldungen von den Unternehmen. Es machen immer mehr Unternehmen mit, die sich auf der Homepage www.mein-landkreis-uelzen.de präsentieren.
Dazu passt ja die Erhöhung der Ausbildungsqualität durch den neuen BBS-Campus…
Dr. Blume: Ja, das Signal ist sicherlich bei den Unternehmen angekommen. Mit dem ersten Neubau an der BBS II ist sichtbar, dass sich auf dem künftigen Campus etwas tut. Wir sprechen jedoch über mindestens zehn Jahre für den Campus. Das hängt auch davon ab, wann die Hansestadt den Bebauungsplan geändert haben wird.
Bei der Stadt wird sich jetzt einiges in Sachen Mobilitätsmanagement tun. Hat der Landkreis ein Infrastrukturproblem – keine Autobahn, zähes Ringen mit der Deutschen Bahn wegen der Trasse Hamburg-Hannover?
Dr. Blume: Die A39 ist notwendig, das ist meine Überzeugung. Ich bin auch sicher, dass sie eines Tages kommt. Die B4 wird ja in Teilen sukzessive ertüchtigt. Allerdings hätte eine 2:1-Lösung, die ja geprüft und verworfen wurde, nicht die Effekte, die eine A39 haben wird. Wir sind einer der ganz wenigen Landkreise in Niedersachsen, die gar keine Autobahnauffahrt haben. Das ist für die Wirtschaft, für die Menschen hier eine Herausforderung.
Mehr auf die Schiene?
Dr. Blume: Natürlich ist es wichtig, mehr auf die Schiene zu bringen. Schon aus ökologischen Gründen. Aber ich denke, dass die Bahn nicht die gleichen Effekte für unsere Region erzielen kann wie die A39. Wer auf die Karte schaut, kann aber auch erkennen: Ja, keine Autobahn – aber der Landkreis ist gut gelegen zwischen den Ballungszentren Hamburg, Hannover, Braunschweig, Wolfsburg und über die Bahn grundsätzlich gut angebunden. Das zeigen ja auch die Firmen, die wir haben. Es kann aber immer noch besser werden.
Wir sehen in Wolfsburg gerade, wie Monostruktur schiefgehen kann. Ist Uelzens Branchenmix ein Vorteil?
Dr. Blume: Gerade in Krisensituationen wird aus dem breiten Branchenmix und den vielen kleineren Unternehmen eine Stärke, weil wir eben nicht von ein, zwei Branchen abhängig sind. Viele Autozulieferer wären jetzt sicher eine Herausforderung. Die Ausschläge werden beispielsweise im Landkreis Gifhorn viel größer sein.
Ein anderes Thema, das uns hier im Landkreis Uelzen schon länger beschäftigt – der Wolf. Der Schutzstatus soll gesenkt werden?
Dr. Blume: Der Schutzstatus ist noch nicht wirklich abgesenkt. Der Ständige Ausschuss bei der Berner Konvention hat den Status herabgesetzt. Das war ein erster wichtiger Schritt. Nun muss als nächstes die EU nachziehen. Das kann ein Jahr dauern, in meinen Augen viel zu lang! Es ist deshalb wichtig, dass sich Bund und Land bereits jetzt Gedanken machen, wie die Umsetzung auf nationaler und Landesebene dann aussieht. So muss das Bundesnaturschutzgesetz zwingend geändert werden. Da finden sich derzeit noch viel zu komplizierte Regelungen. Der letzte Schritt ist dann die Änderung des Jagdrechts in Niedersachsen durch eine feste Jagdzeit für Wölfe, wie es sie für andere Wildarten auch gibt. Wir müssen uns in Uelzen nicht verstecken: Wir waren mit unseren Resolutionen und Aktivitäten Vorreiter und haben Einfluss auf die jetzige Entwicklung genommen.
Thema Wald: Wie geht es mit Brand- und Katastrophenschutz weiter? Da ist der Landkreis Uelzen ja schon gut aufgestellt.
Dr. Blume: Es sind Waldbrandbekämpfungs-Fahrzeuge an die Feuerwehren geliefert worden. Jetzt entstehen durch das Land besondere Einheiten gemeinsam mit dem Landkreis Gifhorn – für auch europaweite Einsätze. Das Interesse der Kameraden und Kameradinnen ist erfreulich groß. Jetzt ist das Land am Zug, die Fahrzeuge auszuliefern. Unsere Feuerwehren und auch das THW leisten tolle Arbeit, so beispielsweise auch beim Hochwasser im Landkreis Celle vor einem Jahr. Das Thema Katastrophenschutz werden wir weiter eng begleiten: Wir lassen derzeit ein Gutachten zum Thema ‚Blackout‘ erstellen, für das zunächst sehr viele Daten gesammelt werden. Es ist nicht die Frage, ob es irgendwann einen Blackout gibt, sondern wann und wie lange er andauern wird. Und auch der Zivilschutz nimmt an Bedeutung wieder zu.
Was war im endenden Jahr toll, was war weniger schön?
Dr. Blume: Ärgern hilft nicht weiter, aber ein Punkt, den ich sehr schwierig finde, ist tatsächlich das Thema Finanzen. Es ist normal, dass um Geld gestritten wird. Aber die Art und Weise, wie Bund und insbesondere Niedersachsen damit umgeht und wie das aktuell auf die Haushalte 2025 durchschlägt, das ist schon bemerkenswert.
Außergewöhnlich positiv aber ist die Arbeit, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet haben, und dies in einer Zeit, in der nicht alle Stellen besetzt sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Und für mich waren 2024 die vielen Jubiläumsveranstaltungen im Landkreis Uelzen schon sehr besonders. Diese haben mir einmal mehr gezeigt, welch riesige Vielfalt bei uns an Vereinen und Initiativen herrscht. Und alle Beteiligten strahlten – zu Recht – Stolz auf das Erreichte aus, vor allem im Ehrenamt. Das ist schon toll und zeichnet ein sehr schönes Gesamtbild von Hilfsbereitschaft und Engagement. Die Menschen im Landkreis können stolz auf das sein, was hier geleistet wurde und wird!
Foto (Landkreis Uelzen): Landrat Dr. Heiko Blume