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Tierwelt

Die Igelhilfe Lüneburger Heide: Wo Menschen Großes für die Kleinsten leisten

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Jelmstorf. Seit 15 Jahren widmen sich Cordula Maria Kellner und ihr kleines Team dem Schutz und der Pflege von Igeln in der Lüneburger Heide und darüber hinaus. Ihr Verein ist längst zu einer festen Anlaufstelle für verletzte, kranke, unterernährte Igel und verwaiste Igelbabys geworden, die ohne Hilfe kaum eine Überlebenschance hätten. Ein Bericht über Menschen, die Verantwortung übernehmen und sich mit Herzblut und Beharrlichkeit für eine vom Aussterben bedrohte Tierart einsetzen.

Von unserer Redaktion

Inmitten einer ruhigen Waldsiedlung bei Jelmstorf, zwischen hohen Bäumen und stillen Wegen, liegt ein Ort, an dem Tag für Tag kleine Leben gerettet werden. Hier führt Cordula Maria Kellner, von vielen einfach nur Kelly genannt, die Igelhilfe Lüneburger Heide – eine Pflegestation, die jedes Jahr hunderten Igeln eine zweite Chance schenkt.

Begonnen hat alles vor rund 15 Jahren. Damals fand Kellner an einem kalten Dezembertag einen kleinen, abgemagerten Igel. Sie hatte Zweifel, dass er den Winter überleben würde. „Ich wollte ihm helfen, wusste aber nicht so recht, wie“, erinnert sie sich. Im Internet stieß sie auf die Igelhilfe Hannover/Laatzen und nahm Kontakt zu einer erfahrenen Pflegerin auf. „Durch sie habe ich viel gelernt und letztlich zum Igelschutz gefunden.“ 

Was mit einem hilfsbereiten Impuls begann, wurde bald zur Lebensaufgabe. Die Menschen aus der Umgebung wurden auf Kellners Engagement aufmerksam und brachten ihr mehr und mehr hilfsbedürftige Igel. Im dritten Jahr pflegte sie bereits über 20 Tiere. Heute versorgt die Station im Schnitt 300 bis 400 Igel pro Jahr. Davon werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt über 50 Igelbabys betreut. Viele darunter sind schwer verletzt.

Ein Zuhause für Stachelträger

Kellners Igelstation ist ein kleines Wunder der Organisation. Auf dem Gelände gibt es eine Wärmestation für stark geschwächte Tiere, ein Winterschlafhaus und ein Freigehege für genesene Igel, die sich vor der Auswilderung wieder an das Leben draußen gewöhnen sollen. Die medizinische Ausrüstung ist erstaunlich umfangreich und ermöglicht es, auch anspruchsvolle Untersuchungen und Behandlungen durchzuführen. Ein Tierarzt und eine medizinisch-technische Laborassistentin, die ehrenamtlich mitarbeitet, unterstützen bei der Arbeit. Ohne ihre fachliche Expertise wären viele medizinische Maßnahmen nicht umsetzbar.

 „Wir können hier Igel in Narkose legen, wenn schwerere Verletzungen von unserem Stationstierarzt behandelt werden müssen, Kotproben auf Würmer untersuchen und Antibiogramme direkt durch unser Labor erstellen, um herauszufinden, ob die Tiere gegen bestimmte Antibiotika resistent sind“, erzählt Kellner stolz. Die medizinische Ausstattung hat sich das Team über die Jahre mühsam angespart. Alles wurde nach und nach angeschafft – durch Spenden und Eigeninitiative.

Ein Tag bei der Igelhilfe

Morgens um neun beginnt Cordula Maria Kellners Tag. Sie und eine oder zwei Mitstreiterinnen reinigen die Boxen, wiegen jedes Tier und verabreichen gegebenenfalls Medikamente. Alle relevanten Daten werden in einem Protokoll festgehalten. Das dient nicht nur dazu, die Entwicklung der Igel nachvollziehen zu können, sondern hilft auch bei der Anamnese, falls sich die Tiere nach dem Auswildern irgendwann erneut einfinden und versorgt werden müssen. 

Die kleinsten Igelbabys werden per Spritze alle zwei Stunden Tag und Nacht gefüttert, den etwas größeren wird dreimal täglich Futter hingestellt. Die erwachsenen Igel schlafen tagsüber und bekommen abends ihre Ration. Auch medizinische Pflege gehört zum Alltag – etwa das Entwurmen, das sich bei Igeln im Gegensatz zu Katzen und Hunden über mehrere Wochen hinziehen kann. „Wenn die Station voll ist, schaffen wir es manchmal erst gegen 15 oder 16 Uhr, überhaupt durchzuatmen“, sagt Kellner.

Nachmittags steht eine ungewöhnliche Aufgabe auf dem Plan: das „Madenpulen“. Dabei werden aus Honigwaben Drohnenmaden herausgelöst. Eigentlich würden daraus männliche Bienen entstehen, für die hat das weibliche Bienenvolk jedoch keine Verwendung. Aus diesem Grund werden die Waben von den örtlichen Imkereien aussortiert und der Igelhilfe zur Verfügung gestellt. „Die Arbeit ist mühselig, aber sie zahlt sich aus“, sagt Kellner. „Die Maden bestehen fast ausschließlich aus Rohprotein – genau das, was unsere Igel brauchen.“

Eineinhalb Stunden nimmt die Arbeit mindestens in Anspruch. Dann geht es schon weiter mit der Abendfütterung, die bis nach 20 Uhr dauern kann. Erst danach bleibt Zeit, um E-Mails zu beantworten und Telefonate zu führen. Feierabend? Den gibt es bei der Igelhilfe nicht wirklich.

Eine Tierart stirbt aus

Der Igel steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten und seine Lebensbedingungen verschlechtern sich stetig. Ein Grund ist, dass die Tiere kaum noch Nahrung finden. „Ein Igel braucht rund 135 Gramm Insekten am Tag. Aber wo sollen die noch herkommen?“, fragt Kellner. Der Einsatz von Pestiziden und die zunehmende Verdichtung der Böden sind nur Beispiele einer ganzen Liste von Auslösern, die das Insektensterben vorantreiben.

Hinzu kommen weitere Gefahren, etwa durch den Straßenverkehr, Mähroboter, elektrische Sensen und Fadenschneider. Kellner erinnert sich: „Wir bekamen kürzlich ein Igelbaby, dem ein Mähroboter beide Hinterbeine abgetrennt hat. Das ist grausam. Es gibt keine Garantie, dass Mähroboter Igel als Hindernisse erkennen, auch wenn Hersteller das behaupten.“ Natürliche Feinde wie Dachse sind ebenfalls eine Bedrohung. Kellner sagt: „Vor einigen Jahren wuchs die Dachspopulation in der Umgebung stark an. Während dieser Zeit sind über 80 Igel den Raubtieren zum Opfer gefallen.“

Aufklären, aushalten, weitermachen

Sich für Igel einzusetzen, bedeutet auch, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Viele Menschen glauben beispielsweise, dass Igelbabys, die im Herbst frei herumlaufen, wieder in ihr Nest zurückkehren. „Das ist ein Irrtum“, weiß Kellner. „Wird das Nahrungsangebot zu knapp, verlässt die Igelmutter das Nest zuerst, um ihr Überleben zu sichern. Sie kommt nicht wieder, also müssen sich auch die Jungtiere ins Freie wagen. Sie haben keine Wahl, sonst verhungern sie.“ Auch die Sorge, dass Igel Flöhe übertragen könnten, hält manche davon ab, zu helfen. „Dabei brauchen Igelflöhe ein Enzym, das nur bei Igeln und Füchsen vorkommt“, erklärt Kellner. „Auf Menschen, Hunde oder Katzen springen sie gar nicht über.“

Neben Geduld und Beharrlichkeit erfordert die Arbeit der Igelhilfe vor allem emotionale Stärke. Die Helfer sehen viel Leid und ringen um jedes Leben. Das hinterlässt Spuren. „Wenn ein Tier stirbt, ist das schlimm. Selbst nach all den Jahren trifft es uns und wir müssen jedes Mal weinen“, sagt Kellner. Doch aus denen, die überleben und wieder in die Freiheit zurückkehren, schöpft das Team seine Kraft und bleibt kämpferisch. Kellner weiß: „Man darf sich nicht auf das Negative konzentrieren. Jeder gerettete Igel zählt.“ 

Hilfe, die ankommt

Die Igelhilfe Lüneburger Heide ist ein gemeinnütziger Verein, der ausschließlich von Spenden lebt. Mittlerweile ist sie vom Veterinäramt als offizielle Igel-Auffangstation nach § 11 Tierschutzgesetz zertifiziert. Öffentliche Zuschüsse gibt es nicht. Die Kosten für die Versorgung der Igel stemmte Cordula Maria Kellner am Anfang aus ihrer kleinen Erwerbsminderungsrente. Unterstützung erhielt sie später von einem Spender aus Braunschweig. Seit dessen Tod ist die Finanzierung jedoch ein ständiger Kraftakt. Medikamente, Futter, Materialien für die Igelboxen – all das verursacht Kosten. Wer helfen möchte, kann das am besten mit Geld tun. „Futterspenden sind gut gemeint, aber leider vertragen Igel vieles nicht. Mit Geld können wir das kaufen, was wirklich gebraucht wird“, sagt Kellner. Gebraucht werden auch Menschen, die mit anpacken. „Wir suchen Helferinnen und Helfer, die vor allem vormittags Zeit haben, um die Boxen zu reinigen und die Igel zu füttern. Sehr wichtig wäre auch eine Hilfe, die sich zutraut, Medikamente zu verabreichen und die Vorgehensweise zu erlernen. Leider war das Interesse bisher gering.“ 

Kellners Wunsch für die Zukunft der Igelhilfe ist klar: „Ich möchte, dass wir weiterwachsen.“ Die Wärmestation bietet derzeit Platz für 13 Tiere. „Wenn wir sie vergrößern, könnten wir noch mehr Leben retten. Dafür brauchen wir aber finanzielle Unterstützung und auch mehr helfende Hände.“

Ein Appell an alle

Noch etwas liegt Cordula Maria Kellner am Herzen: Mehr Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen. „Der Igel ist eines der ältesten Säugetiere der Erde. Und er verschwindet, ohne dass jemand es bemerkt. Das darf nicht sein.“ Sie appelliert an die Menschen: „Wenn ihr im Garten arbeitet, schaut in die Hecken und unter die Büsche, bevor ihr schneidet. Lasst den Mähroboter nicht unbeaufsichtigt laufen. Und wenn ihr einen hilfsbedürftigen Igel findet, werdet aktiv und holt euch Rat.“ Auf der Website der Igelhilfe gibt es detaillierte Anleitungen, wie man dabei richtig vorgeht: Zuerst Fliegeneier entfernen, das Tier dann ins Warme bringen und anschließend die nächstgelegene Pflegestelle kontaktieren. „Im Internet gibt es Listen von Igelauffangstationen, die nach Postleitzahlen geordnet sind“, sagt Kellner. „Die Pflegestellen stehen mit fachkundigen Informationen zur Seite und unterstützen.“ Jeder kann etwas tun, um Igeln in Not zu helfen und sie vor dem Aussterben zu bewahren – denn Artenschutz beginnt nicht irgendwo da draußen, sondern vor unserer eigenen Haustür.

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Kontakt & Unterstützung 

Igelhilfe Lüneburger Heide

Klaepenheide 13

29585 Jelmstorf

Web: https://igelhilfe-lueneburger-heide.de/

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Telefon: 05821/9696895

Spendenkonto

Igelhilfe Lüneburger Heide

Sparkasse Uelzen Lüchow-Dannenberg

IBAN: DE 78 2585 0110 0230 4716 33

BIC: NOLADE21UEL

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Fotos: Cordula Maria Kellner