Neue Spur im Fall der Göhrde Morde – Bringt ein altes Telefonbuch die Polizei weiter?
Himbergen. Auch nach mehr als 30 Jahren hat die Polizei Lüneburg die Hoffnung nicht aufgegeben, endlich Licht hinter eine der rätselhaftesten Mordserien Norddeutschlands zu bringen: In den Fall der Göhrde Morde scheint wieder Bewegung zu kommen.
Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht seit Jahren ein Mann aus Adendorf bei Lüneburg – Kurt-Werner Wichmann. Auf seinem Grundstück wurden hunderte vergrabene Fundstücke gefunden – sowie die Leiche der Lüneburger Unternehmers-Frau Birgit Meier. Nur: Wichmann ist seit 1993 tot. Er nahm sich in Untersuchungshaft das Leben. Dass er für den Tod von Birgit Meier verantwortlich ist, daran zweifelt niemand mehr, nachdem ihr Bruder Wolfgang Sielaff, früher Leiter des LKA Hamburg, mit einem Experten-Team Haus und Grundstück des Verdächtigen akribisch durchsucht, etliche Beweisstücke gefunden sowie die sterblichen Überreste seiner Schwester in einer Werkstatt-Grube gefunden hat.
Aber damit ist der Fall für die Cold-Case-Abteilung der Polizei Lüneburg noch nicht abgeschlossen. Denn außer Folterwerkzeugen und Fesseln in den vielen Geheimfächern in Wichmanns Haus fanden Sielaff und sein Team in einem verschlossenen Raum eine regelrechte Devotionalien-Sammlung zu den Göhrde Morden. Eine solche Sammlung hätte dem als eitel und selbstverliebt beschriebenen Wichmann, der bereits in seiner Jugend zu Gewalt und Sadismus neigte, ähnlich gesehen. War er es, der 1989, während des schönsten Sommers seit Jahren, zwei Paare in der malerischen Göhrde auf brutale Weise ermordete? Hatte er einen Komplizen?
Diesen Verdacht hat die Polizei seit Jahren. Denn es gibt Auffälligkeiten, die darauf schließen lassen, dass es mehr als einen Täter gab.
Rückblick: Es ist der 21. Mai 1989, ein schöner Frühsommertag. Ursula und Peter Reinold haben sich aus Hamburg-Bergedorf auf den Weg in die nahe Göhrde gemacht, um auf einer Waldlichtung die Sonne zu genießen. Was das Ehepaar nicht ahnen kann, als es mit seinem Honda Civic sein Ziel erreicht: In dem riesigen Waldgebiet östlich von Himbergen lauert der Tod.
Mitte Juli – fast acht Wochen sind vergangen, seit das Ehepaar Reinold spurlos verschwunden ist. Der Sommer ist inzwischen trocken und heiß, es hat wochenlang nicht mehr geregnet. Trotzdem machen sich drei Blaubeer-Sammler auf den Weg in den Göhrde-Wald. Doch was sie finden, lässt sie erstarren. In einer Senke entdecken sie zwei Leichen. Nackt, ermordet, regelrecht hingerichtet. Die Reinolds.
Ihre Körper sind zum großen Teil von Tieren gefressen worden. Was von den Toten übrig ist, ist durch die Hitze mumifiziert. Schnell versuchen die Beerensammler, einen Förster zu finden, um die Polizei zu benachrichtigen. Dabei begegnen sie mitten im Wald einem kräftigen, braunhaarigen Mann. Er trägt eine Stofftasche bei sich. Vermutlich, hält die Polizei fest, war es der Mann, der das Ehepaar Reinold am 21. Mai ermordet hatte – unterwegs auf der Suche nach neuen Opfern.
Und der Unbekannte schlägt tatsächlich erneut in der Göhrde zu – genau an dem Tag, an dem die Leichen der Reinolds von den Beerensammlern entdeckt werden: Ingrid Warmbier aus Uelzen und Bernd-Michael Köpping aus Hannover, beide sind mit anderen Partnern verheiratet, haben sich in Bad Bevensen bei einer Kur kennengelernt. Den heißen Julitag wollen sie gemeinsam in der Göhrde verbringen. Sie parken Köppings Toyota Tercel und gehen zu Fuß kilometerweit in den Wald. Unklar ist, ob der Unbekannte ihnen auflauerte oder sie ihm zufällig begegneten. Fest steht: Während Kripobeamte nur 800 Meter entfernt den Fundort des toten Ehepaars Reinold untersuchen, wird zeitgleich in einer Senkung die nächste grauenvolle Bluttat begangen.
Warmbier und Köpping haben keine Chance. Der Täter bedroht sie offenbar massiv. Er fesselt sie mit medizinischem Klebeband an Händen und Füßen. Ob es sich auch um eine Sexual-Straftat handelt, ist unklar. Das Pärchen muss sich mit den Gesichtern nach unten auf den Waldboden legen. Der Mann wird vom Täter erst gewürgt, dann mit einer Kleinkaliberwaffe durch Kopfschüsse getötet. Dem weiblichen Opfer wird der Schädel zertrümmert und dann ebenfalls in den Kopf geschossen.
Zwei Wochen später sind wieder Hundertschaften der Polizei in der Göhrde unterwegs, um weitere Spuren im Mordfall Reinold zu suchen. Was sie finden, sind die nächsten beiden Mordopfer. Im Verlauf der kommenden Wochen werden immer mehr schreckliche Details zu den beiden Taten bekannt. Und die Polizei ermittelt fieberhaft. Denn die Beamten gehen davon aus, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun hat – der vermutlich einen Komplizen hatte: In beiden Fällen hatte der Täter seinen Opfern Fahrzeugschlüssel abgenommen und war mit den Autos noch mehrere Tage umhergefahren. Eines von ihnen wurde später vor der Kurklinik Bad Bevensen gefunden. Nur: Wenn der Täter mit den Autos aus der Göhrde weggefahren war – wie kam er dann dort hin? Es drängt sich der Gedanke an einen Mittäter auf, der vermutlich bis heute frei herumläuft.
Aber jetzt könnten sich neue Spuren ergeben. Dann bei der Durchsuchung des Wichmann-Grundstücks haben die Ermittler einen Zettel mit einer Telefonnummer gefunden, wie der NDR berichtet. Um diese Nummer zuzuordnen, war ein Hamburger Telefonbuch aus dem Jahr 1989 erforderlich. Und tatsächlich: Viele Bürger meldeten sich, die noch im Besitz des Telefonbuchs sind. Die Hinweise werden jetzt ausgewertet – und dann kann die Suche nach dem Komplizen weitergehen.
Foto (Polizei): Bei Ausgrabungen auf dem Grundstück des inzwischen verstorbenen Hauptverdächtigen wurden hunderte von Gegenständen gefunden, unter anderem Autoteile, ein auffälliger Ring - und jetzt ein Zettel mit einer Telefonnummer.