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Kultur

Mitglieder des Fördervereins „Bibliothek im Griepe-Haus“ zu Bad Bevensen e.V. stellen ihre Lieblingsbücher vor - Heute: Sabine Simon mit „Hey Guten Morgen, wie geht es Dir?“ von Martina Hefter 

 |  Kunst & Kultur

Bad Bevensen. Juno ist Tänzerin, Performancekünstlerin in der freien Szene in Leipzig. Sie ist über 50 und ohne festes Engagement. Jupiter, ihr Mann, ist Schriftsteller und durch eine MS-Erkrankung inzwischen körperlich stark eingeschränkt. Juno pflegt ihn, organisiert den Alltag und bringt den Müll runter. „Juno hasst es, dass immer nur sie den Müll runterbringt. Und sie hasst sich dafür, dass sie das hasst.“

Die Bezüge im Roman zum realen Leben der Autorin sind offensichtlich. Den kranken Mann, das Tanzen, ja, sogar die Tattoos, die im Roman immer wieder eine Rolle spielen, gibt es wirklich. Und natürlich fragt sich die Leserin, ob es auch jemanden wie Benu gab. Benu, der junge Mann in Nigeria, der mit falscher Identität über Instagram Kontakt zu Juno aufgenommen hat. „Mein Name ist Owen Wilson aus der Ukraine, aber ich lebe in Austin, Texas!“, liest Juno, die ihm kein Wort glaubt, sich aber auf einen längeren Chat einlässt, bei dem sie über leuchtende Berge, den Blick aus dem All auf die Erde und ein Gedicht über den Film Melancholia schreibt. Und dass sie natürlich weiß, dass er ein Love-Scammer ist. Sie rechnet damit, von ihm blockiert zu werden, denn das ist der Ablauf, wie sie ihn kennt, wenn sie mal wieder Männern antwortete, die schrieben „Hey Guten Morgen, wie geht es Dir?“

Diesmal ist es anders, und Benu bleibt dran. Schnell wechseln sie von seinem Scammer-Profil zu WhatsApp, später dann zum Video-Call, und für Juno werden die Treffen mit diesem jungen Mann aus Nigeria wichtiger, als sie es sich zunächst eingesteht. Sie, die so vielen Männern phantasievolle Lügengeschichten über ihr Leben erzählt hat, berichtet Benu immer mehr aus ihrem Alltag, wenn auch längst nicht alles. Denn die Angst, dass er letztlich doch Geld von ihr will, sitzt tief. Sie hat zu viele Dokumentationen über Frauen gesehen, die ihr gesamtes Vermögen an einen Mann geschickt hatten, den es gar nicht gab. Juno hat gar kein Vermögen, das sie weggeben könnte, im Gegenteil. Das Pflegegeld, das sie für die Versorgung von Jupiter bekommt, wird dringend gebraucht, und auf einen Preis für Jupiters neues Buch hoffen beide nicht nur aus Prestigegründen. Wer belügt hier eigentlich wen, fragt sich Juno, und liest Bücher über das Leben in Nigeria, ohne mit jemandem darüber zu sprechen.

„Solange ich spiele, passiert nichts. (…) Deswegen müssen wir immer weiterspielen.“ 

Das sagt Juno zum Ende des Romans an Jupiter und Benu gewandt. Passend dazu arrangiert Martina Hefter die Geschichte auf mehreren Bühnen. Neben den Szenen mit Benu vor der nächtlichen Kulisse eines Zimmers irgendwo in Nigeria schauen wir auf die reale Bühne, auf der Juno tanzt und sich auf einen größeren Auftritt vorbereitet. Rückblicke in Situationen ihrer Kindheit vermitteln, wie zwingend dieser Teil ihres Lebens war und ist. Auch hier treffen sich Romanfigur und Autorin, die von sich sagt, sie brauche das Tanzen genauso wie Essen und Trinken.

Und dann gibt es natürlich den Alltag mit Jupiter. Anders als Katja Oskamp, die in ihrem ebenfalls autofiktionalen Roman „Die vorletzte Frau“ die körperlichen Leiden ihres Mannes ins Scheinwerferlicht setzte, bleibt Hefter dezent. Aber auch ohne intime Details zu kennen erlebt man, wie sehr die Erkrankung des Mannes den Alltag bestimmt, die nicht nur seine Bewegungsfreiheit einschränkt, sondern auch die seiner Frau. Juno ist mit tiefer Loyalität für Jupiter da und richtet ihr Leben an seiner zunehmenden Bedürftigkeit aus. Umso berührender sind die kleinen Szenen, in denen sich der Schmerz meldet: „Leise ging sie aus dem Zimmer. Über den langen Flur ins Bad, wo sie zuerst gar nicht wusste, warum sie dort hingegangen war. Es war der Raum in der Wohnung, der am weitesten von Jupiters Zimmer entfernt war. Sie setzte sich auf den Rand der Badewanne und weinte.“

Die unterschiedlichen Elemente der Geschichte sind lose, aber kunstvoll miteinander verwoben. Und wie bei einer guten Performance macht es wenig Sinn zu fragen: warum handeln die Personen so und nicht anders? Dabei ließe sich durchaus spekulieren. Juno und Jupiter, Namen aus dem antiken Götterhimmel, an anderer Stelle der Verweis auf kosmische Konstellationen, und Nigeria liegt auch nicht gerade in der Nachbarschaft. Alles ist ziemlich weit weg, zeitlich oder räumlich. Wäre das ein Motiv? Die Flucht aus dem belasteten Alltag hinein in ein Paralleluniversum?

Aber dieser Idee widerspricht die Dramaturgie des Textes. Die Erzählstimme, die aus Junos Perspektive das Geschehen auf den verschiedenen Bühnen beschreibt, verändert sich kaum und markiert keine Unterschiede. Kurze, manchmal lakonische Sätze skizzieren den pflegenden Alltag im gleichen Stil wie das Tanztraining mit seinen schnellen, kraftvollen Bewegungen. Und als sich in den Dialogen im Chat eine ganz neue Möglichkeit andeutet, findet sie schnell wieder ein Ende.

Man könnte die Gleichförmigkeit im Text für einen Mangel des Romans halten und sich vielleicht ein bisschen langweilen. Doch bei einer etwas anderen Lesart löst sich die Irritation schnell auf.  Denn Martina Hefter hat keinen Entwicklungsroman geschrieben. Juno handelt, aber sie handelt nicht mit dem Ziel einer Veränderung.

Sie hat entschieden zu bleiben und alles, was sie erlebt, erlebt sie innerhalb der Grenzen, die sie für sich akzeptiert hat. Der Roman beschreibt keinen inneren Konflikt, weil es für Juno keinen gibt. Sie tanzt nicht um zu flüchten, sondern weil es ihr ureigenes Leben ausmacht, das sie sich hier ein Stück weit bewahren kann. Sie begegnet Benu, weil es heute möglich ist, jemanden aus Nigeria zu treffen, ohne sein Zimmer zu verlassen, nicht, weil sie einen anderen Mann sucht. Die Themen, auf die sie bei all dem stößt, sind dann aber nicht weniger interessant, als die alte Frage, ob man bleiben oder gehen sollte.

Der Roman hat für mich die Qualität eines intensiven Kammerspiels. Und ich war erstaunt, wie spannend es sein kann, wenn fast alles so bleibt, wie es ist.

Martina Hefter: Hey Guten Morgen, wie geht es dir? Klett-Cotta, Stuttgart 2024, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2024

Text: Sabine Simon

Ich bin geborene Bremerin, lebe seit 2020 in Bad Bevensen und unterstütze mit viel Vergnügen den Förderverein Griepehaus, inzwischen auch als Mitglied des Vorstands. Die Veranstaltung „Mein Lieblingsbuch“ lasse ich nur ausfallen, wenn es gar nicht anders geht.

Grafik: Förderverein „Bibliothek im Griepe-Haus“